Donnerstag, 15. Juli 2010

Medusa

Als ich sie erblickte, stand ich mit schmutzigen Händen im Garten und grub nach Dinosaurierknochen. Sie stand regungslos im Schatten und blickte mich an, ihre Augen schimmerten wie zwei Sterne, so schwach dass man sie gerade noch wahrnehmen konnte. Zwischen ihren Haaren rannten Käfer und sammelten Holz, an ihren Rändern funkelten Schwalben. Es waren Schlangen dort. Sie kam aus dem Weltraum zu mir, eine Frau ganz aus Kristall.
Ich nahm sie zu mir in mein Haus. Wir setzten uns auf den Fussboden, tranken Tee und hörten Platten. Da nahm sie die Nadel vom Spieler und fuhr damit über meine Fingerkuppen und in den Rillen meiner Haut war Musik und sie füllte den Raum bis in den kleinsten Winkel. Sie sagte zu mir: Spiegel haben Rahmen, damit man erkennt, dass sie Illusionen sind, aber ich habe keine Rahmen. Du kannst in mich hineingehen und du wirst dich verlaufen. Und wenn du willst, wenn du Lust hast, stelle ich dir Rätsel, die so schwer sind, dass du sie nicht lösen wirst. Und ich nahm sie und ich schlief mit ihr.
Die Meere hingen in dünnen Fäden über uns. Verirrte Götter trieben schreiend durch das Zimmer. Ich warf mit silbernen Ringen nach ihr, wollte sie fesseln, wollte sie halten. Wir trieben wie Treibholz in flüssigem Licht und in diesem Licht wuchsen ihr Federn und wuchsen ihr Augen und ein runder Schnabel. Sie verlor all ihre Wimpern und sie bedeckten das ganze Bett, wir begruben uns darin. Unsere Bewegung hatte keine Sprache mehr, es war eine Bewegung nur für sich alleine, ohne Sinn und Besitz. Und wie im Theater ein Schauspieler aus seiner Rolle fällt und plötzlich beginnt zu lachen, so begann die ganze Welt zu lachen und hat uns all ihre Geheimnisse verraten.
Zum Frühstück assen wir rohe Quallen. Meine Hände wurden zu Stein. Ich musste sie feilen, damit sie noch zu gebrauchen waren. Das Morgenlicht war bleich und zog durch das stille Zimmer. Aus der Ferne hörte man Glocken. In den Wolken hatten die Bienen über Nacht Waben gepflanzt und am Mittag, während wir im Garten arbeiteten, schmolzen sie in der Sonne und es regnete Honig in unsre Gesichter. Sie stand lange da mit zitternden Beinen und starren Augen.
Es schien sie zu beunruhigen, obwohl der Honig gut war.
So vergingen unsere Tage, im weissem Licht, bedeckt von Laub. Ich war oft sehr beschäftigt mit meinen Ausgrabungen und die Arbeit ging gut voran, da mein steinerner Körper stark war und belastbar. Obwohl sie im Garten willkommen war, blieb sie alleine zuhause. Sie sagte, sie müsse schreiben, sie wäre eine grosse Künstlerin, aber ich sah nie etwas von ihren Werken. Ich glaube irgendwann hat sie begonnen zu trinken. Wenn ich nach Hause kam, schlief sie schon und am Ende des Monats hatten wir nur noch die benommenen, bleichen Morgenstunden zusammen. Sie sprach immer weniger. Irgendwann begann sie zu schrumpfen. Zuerst ihre Hände und Füsse, dann ihr Leib und schliesslich der Kopf. Sie wurde immer kleiner. Eines Tages habe ich sie zwischen den Laken nicht mehr gefunden.
Seit dem sitze ich vor dem Telefon und warte dass sie vielleicht anruft. Ich frage mich, wo sie jetzt ist. Wahrscheinlich lebt sie in der Wiese, unter Grossen Blättern und Halmen, als Königin der Insekten: Die Raupen spinnen ihre Kleider, die Falter bringen ihr Nektar, die Marienkäfer bringen ihr zu trinken, die Ameisen bauen ihren Palast, die Wespen bewachen sie und die Bakterien im Dreck sind alle gläubig geworden und feiern ihre Feste. Vielleicht kommt sie eines Nachts zu mir, auf einem Tausendfüssler reitend und kriecht durch mein Ohr hinauf in meinen Kopf. Wenn sie dort wäre, festgebissen in meiner Hirnrinde, dann könnte ich vielleicht von ihr träumen. Ich würde schlafwandelnd durch die Strassen laufen, gesteuert von ihrem Biss. Weinend und schreiend nach Nähe. Aber niemand ist sich nahe in dieser Stadt.
Nur du allein bis Nähe.

1 Kommentar:

birrehead hat gesagt…

LARV it w/out music aswell.
Wunderwunderwunderwunderdreamy.